STREIT 3/2019
S. 114
Anna Dorothea Brockmann: Von Recht und Ordnung in der Gebärmutter
Aus: STREIT 1/88, S. 18-25 (Auszug)
Die neuen Techniken der Reproduktionsmedizin – die In-Vitro-Fertilisation (IVF), die pränatalen Diagnosemethoden und die Forschungen an Embryonen – werden, wie die letzten Kongresse der Humangenetiker und der Perinatalmediziner 1987 demonstrierten, auch in der BRD zur Routine. (…)
Bereits in den frühen 60ger Jahren, mit der ersten Initiative zur Strafrechtsreform, wird unter Medizinern und Juristen die „Notwendigkeit“ diskutiert, Schwangerschaftsabbrüche besonders an geistig behinderten Frauen oder bei Diagnose des Risikos einer vererbten Erkrankung des Fötus bzw. des späteren Kindes zu entkriminalisieren und eine eugenische Indikation neben der medizinischen in den § 218 aufzunehmen. Entkriminalisiert werden sollte auch die Abtreibung von Föten, die – soweit diagnostizierbar oder wahrscheinlich – durch radioaktive Strahlung, Arzneimittel oder andere chemische Substanzen geschädigt waren. In den wütenden Auseinandersetzungen um die soziale Indikation und die Fristenlösung 1970 bis 1975 ist auch in der Frauenbewegung weitgehend unbeachtet geblieben, daß die neue eugenische Indikation ungeschmälert erhalten wurde; ein im Sinne positiver Eugenik unerwünschter Embryo konnte nun bis zur 24. Woche, d.h. bis zum Zeitpunkt des ersten damals möglichen embryonalen Zelltests, der Amniozentese, legal aus der Gebärmutter vertrieben werden.
Damit war 1975/76 – justament zum Abschluß des hessischen Modellprojekts (zur humangenetischen Beratung – die Red.) – die juristische Basis für eine Entkriminalisierung derjenigen Ärzte gelegt, die nach einer humangenetischen Beratung eine Abtreibung nahelegten oder vornahmen. Daß dabei immer wieder die zwanglose „freie Entscheidung“ der betroffenen Frauen oder Paare betont wird, ist Hohn. Der soziale und psychische Druck, ein gemäß medizinischen Standards heiles Kind zur Welt zu bringen und behinderte Kinder zu vermeiden hat grade mit den technischen Prognosemöglichkeiten massiv zugenommen; und Frauen fürchten mit Recht, in dieser Gesellschaft weitgehend allein und mit allerlei Mütterlichkeitsideologie im Nacken, ein behindertes Kind aufzuziehen und dessen Diskriminierung individuell auffangen zu müssen.
Die verfassungspolitische Debatte um den § 218 – vor allem das BVerfG-Urteil 1975 – fügt dieser Legalisierung eugenischer Bevölkerungspolitik zwei normative Setzungen hinzu, mit weitreichenden Konsequenzen für die pränatale Diagnostik.
Die Norm des Grundgesetzes nahm ja im Prinzip die tradierten Abwehrrechte des bürgerlichen Individuums gegenüber staatlichen Übergriffen wieder auf. Dieser Schutz des Individuums – hier der Frau – wird nun ins Gegenteil verkehrt: nunmehr wird das Staatsinteresse am individuellen Nachwuchs vor der schwangeren und zum Abbruch entschlossenen Frau geschützt.
Die politische Konsequenz dieses Urteils ist, daß der Schwangerschaftsabbruch zu einer verfassungswidrigen Handlung, die Frau also zur Verfassungsfeindin erklärt wird. (…) Die Feinderklärung des Urteils richtet sich, wie auch die Kampagne der Kirchen und Ärzteverbände seit Beginn der Frauenbewegung zeigt, nicht gegen jedweden Abbruch einer Schwangerschaft, sondern allein gegen denjenigen, den die Frau aus eigenständiger Beurteilung ihrer Lebenssituation will. Völlig unberührt von dieser Kampagne ist bis heute die eugenische Indikation geblieben.
Der Umdeutung des Embryo zum Klienten der pränatalen Medizin entspricht seine verfassungspolitische Aufwertung als Rechtssubjekt gegenüber der und vor allem gegen die Frau, die Zusicherung seines vorrangigen Staatsschutzes. Das heißt aber, daß ein naturwissenschaftlich-medizinischer Diskurs über das Verhältnis von Lebensbeginn, autonomer Lebensfähigkeit und dem Leben der schwangeren Frau normativ beendet wird durch die juristische Trennung von Embryo und Schwangerer.
Unter Rückgriff auf kirchendogmatische Setzungen leistet das BVerfG-Urteil 1975 zudem dem dominanten gesellschaftlichen Vorurteil Vorschub, daß Frauen unverantwortliche und damit dem Embryo im Prinzip feindlich gesonnene Personen seien, die aus egoistischen Lebensinteressen das Leben des Embryo durch ihre rücksichtslose Lebensweise schädigten. Frauen müssen – darüber sind sich alle Fortpflanzungsmediziner einig – nunmehr zu einer ordentlichen, d.h. nach medizinischen, humangenetischen und damit bevölkerungspolitischen Kriterien verantwortungsvollen Schwangerschaft erzogen, verpflichtet und ggf. auch gezwungen werden. (…)
So aber schließt sich der Kreis. Die eugenische Indikation erlaubt es, den Staat vor teuren Behinderten zu bewahren und die Embryonenforschung eröffnet die Perspektiven einer Selektion ohne Abtreibung. Auf der Strecke bleiben die soziale Fantasie über das Leben von und mit Behinderten, bleibt der Impuls, den Wettlauf von Verstrahlung und Vergiftung menschlichen Lebens wenigstens zu bremsen; und auf der Strecke bleibt wieder die Selbstbestimmung und Lebensvielfalt von Frauen, die zum Abtreibungsverbot noch die Pflicht zum heilen Kind und zum verantwortungsvollen Schwangerschaftsabbruch aufgebürdet bekommen. Das bedeutet auch, daß dort, wo der Mythos von der natürlichen Bestimmung der Frau durch die Technisierung der Schwangerschaft auffliegen könnte, Frauen in die nächste Falle gelockt werden: in den Zwiespalt zwischen ihrer berechtigten Angst, in dieser kinder- und behindertenfeindlichen Welt ein behindertes Kind weitgehend allein aufzuziehen, und den Heilungsfiktionen und Sicherheitsillusionen der Reproduktionsmedizin.