STREIT 4/2024

S. 188-190

Buchbesprechung: Christina Clemm: Gegen Frauenhass

Hanser Berlin, 2023

Nach ihrem erfolgreichen Buch „AktenEinsicht“ (2020) (Buchbesprechung in STREIT 2/2023, S. 93) hat Christina Clemm, feministische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin aus Berlin, mit dieser kämpferischen Streitschrift zügig nachgelegt. Sie dokumentiert den omnipräsenten Hass, der sich gegen Frauen – weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung – richtet. Unter der Bezeichnung „Frauen“ versteht Clemm dabei Frauen „nicht im zweigeschlechtlichen Sinn, sondern alle weiblich gelesenen Personen“. Sie schließt „cis Frauen, trans Frauen, inter und sich selbst als non-binär verstehende Personen ein“. Gleich eingangs schreibt sie „in diesem Buch soll vor allem der unbändige Hass auf Frauen im Zentrum stehen – wie er wirkt, wen ertrifft, welche Formen er annimmt und weshalb nicht ernsthaft etwas gegen ihn getan wird“ (S. 11).

Anhand eines fiktiven Musterfalles schildert Clemm die Eskalationsspirale bei häuslicher Gewalt bis hin zum Femizid. An Fällen aus ihrer anwaltlichen – familienrechtlichen und strafrechtlichen – Praxis analysiert und beschreibt sie die Erscheinungsformen von Frauenhass in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie verbindet die Schilderung von Einzelfällen mit der Analyse der Gesellschaft und zeigt auf, wie tief und umfassend misogynes Denken und Handeln in der bürgerlichen Gesellschaft verwurzelt sind.Mit Frauenhass meint Clemm „eine emotionale Gewohnheit oder Geisteshaltung, die auf frauenfeindlichen Ressentiments gründet. Die Ressentiments sind systemisch und systematisch, der Hass ist strukturell, zielgerichtet und dem patriarchalischen System nicht nur innewohnend, sondern für dieses stabilisierend“ (S. 13). Frauenhass ist nach Clemm eine „emotionale Gewohnheit, die aggressiv in einem patriarchalen System, in dem eine binäre Geschlechterordnung herrscht, ausgelebt werden kann“. „Inletzter Konsequenz zeigt er sich in Gewalttaten, inverbalen, psychischen, physischen Angriffen, bis hin zur Tötung“. Er „betrifft alle Frauen – einige mehr als andere, aber unberührt bleibt keine“ (S. 14).

Alle Männer profitieren davon. „Das Patriarchat hilft, eklatante Vermögensunterschiede innerhalb der Gesellschaft auszublenden, und suggeriert Männern eine Gleichheit untereinander, insofern sie allesamt über Frauen verfügen“ (S. 46). „Es wäre leicht, sofort effektive Möglichkeiten zur Einschränkung geschlechtsbezogener Gewalt zu ergreifen. Dass es trotzdem nicht geschieht, ist nur mit dem strukturellen Nutzen geschlechtsbezogener Gewalt erklärbar. Die Gewalt gegen Frauen bewirkt nicht nur individuell etwas, sie ist gesamt-gesellschaftlich antifeministisch, denn sie verhindert die Gleichstellung der Geschlechter und Freiheit der Frauen. Durch die permanente Gewalt oder auch nur die Möglichkeit, Gewalt zu erfahren, werden Frauen aktiv darin behindert, sich selbst fortzuentwickeln, in ihren beruflichen und privaten Lebensentwürfen voranzukommen“ (S. 115).

Ausführlich beschäftigt sich Clemm auch mit dem Thema „Femizid“, der Tötung von Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind. Eine ausdrückliche Normierung von Femiziden kennt das deutsche Strafrecht nicht. „So wie es auch kein spezifisches Tötungsdelikt aus Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus oder Klassismus gibt“ (S. 59). Auch sogenannte „Ehrenmorde“, die als solche bezeichnet werden, weil „die Täter vermeintlich muslimischen Glaubens sind oder rassifiziert werden“ sollten wir laut Clemm „als das bezeichnen, was sie wirklich sind: Femizide“ (S. 58). Allen gemein ist die Manifestation des männlichen Herrschaftswillens, die Überzeugung, dass Frauen diszipliniert werden müssen, und eine toxische Vorstellung von Männlichkeit, Ehre und Stolz. Es geht um Kontrolle, Disziplinierung und Unterwerfung.

Clemm schildert den mangelhaften Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt in der Justiz. In den familiengerichtlichen Verfahren wird häusliche Gewalt weiter verharmlost, von den Müttern trotz der erlittenen Übergriffe Kooperation mit den Tätern eingefordert. Hier ist eine Professionalisierung aller Beteiligten und sind spezielle Kenntnisse von den Mechanismen und Strukturen geschlechtsbezogener Gewalt erforderlich. Ohne angemessene gerichtliche Ahndung bleibt, dass bei getrenntlebenden Eltern mehr als 1/3 der unterhaltspflichtigen Väter entweder gar keine oder nur reduzierte Kindesunterhaltszahlungen an die Mütter leisten, oft dann auch noch unregelmäßig und unpünktlich. Ein Fall von ökonomischer Gewalt. 43% der Ein-Eltern-Familien gelten als armutsgefährdet, 88% der Alleinerziehenden sind Frauen.

In den Strafverfahren richtet sich der verständnisvolle Blick des Gerichts weiter auf den Angeklagten und seine Emotionen, was bei sogenannten „Beziehungstaten“ zu unzureichender Ahndung führt. Es ist für eine Geschädigte sehr belastend, nach Anzeigenerstattung ein Ermittlungs- und Strafverfahren durchzustehen. Mit dem Risiko, dass ihr mit Misstrauen begegnet wird, dass sie retraumatisiert und zum Objekt degradiert wird. Hier herrscht eine „Kultur der Straflosigkeit“(S. 165).

Die alltägliche Gefahr für Kinder, im sozialen Nahraum sexualisierte Übergriffe durch nahe Verwandte, Lehrer oder sonstige Vertrauenspersonen zu erleiden, wird tabuisiert. Nach aktuellen Dunkelforschungen war jede fünfte bis sechste Frau in ihrer Kindheit betroffen. Clemm nennt dieses immense Ausmaß an Gewalt „den Kern des patriarchalen Geschlechterverhältnisses“ (S. 126). Besonders stark zum Ausdruck kommen patriarchale Besitzanmaßungen im Menschenhandel und in der Zwangsprostitution. Dort wird „die Ware Frauenkörper ausgebeutet, benutzt, weggeworfen“ (S. 141).

Auch auf einen umfassenden Schutz von Frauen durch die Ordnungskräfte ist kein Verlass. Eine, seit langem geforderte und dringend notwendige, groß angelegte wissenschaftliche Studie zu Rassismus und Sexismus innerhalb der Polizei fehlt bislang. Eine Studie aus London aus dem Jahr 2023 bestätigte auch dort ein gravierendes Sicherheitsproblem für Frauen und non-binäre Personen. Sie ergab, dass die Londoner Polizei systematisch rassistisch, misogyn und homophob handelt. In weiteren Bereichen – im Medizinbetrieb, in Einrichtungen für Frauen mit körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen, an Hochschulen oder in den Kultureinrichtungen und der Filmindustrie besteht oft ein Machtgefälle, was sexualisierte Gewalt erleichtert, die Gegenwehr erschwert.

Digitale Gewalt und Hetze trifft Frauen, Feministinnen, Aktivistinnen und queere Menschen ungleich stärker als Männer. Die Opfer müssen zusätzlich „meist mit sehr viel mehr sozialer Ächtung rechnen als die Täter …Während die Täter mit ihren Tatenprahlen, werden die Opfer verachtet“ (S. 145). Im deutschen Fernsehen kommt geschlechtsspezifische Gewalt in rund 1/3 der Sendungen vor. Frauenhass und Antifeminismus werden auch in den Parteien zunehmend salonfähig. Insbesondere die AFD mahnt „die Rückbesinnung auf traditionelle Männlichkeitsideale an“ (S. 199), hetzt gegen „Gendergaga“ und warnt vor der Gewalt gegen Frauen durch „Fremde“. Maskulinisten hetzen im Internet misogyn, queerfeindlich und rassistisch und haben Millionen von jungen, männlichen Followern. TransPersonen werden überdurchschnittlich angegriffen und dann meistens damit alleingelassen.

Clemm thematisiert auch die Diskussion um sogenannte TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminists). Dies sind Feministinnen, die meinen, trans Personen schadeten den „echten“ Frauen und bedrohten die lang erkämpften Frauenräume. Clemm hält es für eine absurde Unterstellung, trans Personen würden ihren Personenstand ändern, und dann in Frauenräumen Gewalt ausüben. „Was mir Sorgen bereitet, ist, dass trans Personen durch die panikma-chende Propaganda immer und immer mehr Gefahren ausgesetzt werden“ (S. 206).

Auch in der Gesundheitsversorgung führensexistische Grundeinstellungen zu mangelnden und fehlerhaften Therapien und, beispielsweise in der Geburtshilfe, zu zunehmender Unterversorgung. Clemm plädiert für eine reproduktive Gerechtigkeit, d. h. „das Recht, Kinder zu haben oder nicht zu haben, und das Recht, Kinder unter sicheren Bedingungen gebären und aufziehen zu können“ (S. 211). Dazu gehört auch das Recht auf einen sicheren und selbstbestimmten und straffreien Schwangerschaftsabbruch.

Clemm unterlegt ihre Ausführungen auch mit statistischen Zahlen. Seit langen bekannt sind die Ergebnisse einer deutschlandweiten Studie über Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen aus dem Jahr 2004. Danach hat „mindestens jede vierte Frau (25 %) im Alter von 16 bis 85 Jahren, die in einer Partnerschaft gelebt hat, einmal oder mehrmals körperliche (23 %) oder – zum Teil zusätzlich – sexuelle (7 %) Übergriffe durch einen Beziehungspartner erlebt“ (S. 83). Wenn wir die täglichen Meldungen in den Medien verfolgen, ist feststellbar, dass sich die Situation eher noch verschlechtert. BIG, die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, teilt in einer Pressemitteilung vom 22.07.2024 mit, dass in den vergangenen Monaten ein alarmierender Anstieg der Anrufe festzustellen sei.Für mehr als ¾ der Anruferinnen, die sich in akuter Gefahr befanden, konnte von BIG kein Schutzplatz in Berlin vermittelt werden. Laut BIG stirbt inzwischen jeden 2. Tag eine Frau.

„Nach Untersuchungen des europäischen Instituts für Gleichstellung (EIGE) hatte Deutschland 2018 die achthöchste Anzahl an Femiziden, bezogen auf die 24 Mitgliedsstaaten, von denen Zahlen vorlagen, das Vereinigte Königreich inklusive“ (S. 45). Auch im Hinblick auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bekannt als „Istanbul-Konvention“ ist viel zu wenig geschehen. Schätzungsweise nur 10 % der Betroffenen von sexualisierter Gewalt erstatten Anzeige, davon führen nur 8 % zu einer Verurteilung. Durchschnittlich verdienen Frauen pro Stunde 18 % weniger als Männer, bei vergleichbarer Erwerbsbiografie immer noch 7 % weniger.

All diese Zahlen sind bekannt. Sie sind ein Skandal. Ein Großteil der Bevölkerung ist betroffen. Justiz und Politik schauen weg, verharmlosen und verweigern die erforderlichen Maßnahmen. Die Justiz weigert sich, das Problem zu verstehen, sich fortzubilden und etwas an den Strukturen zu ändern. Und die Politik weigert sich, mehr Geld und Ideen in Prävention, Kampagnen, in Täterarbeit und Unterstützung der Betroffenen, in Kapazitäten zu investieren.

Clemm ruft auf zur praktizierten Solidarität. „Wir müssen jetzt handeln, therapeutisch und unmittelbar, präventiv und langfristig“ (S. 232). Sie stellt eine lange Liste zusammen mit konkreten Forderungen, die schnell umsetzbar wären. Beispielsweise und sinngemäß heißt ihr Appell: Schaut hin, organisiert Euch, leistet Hilfe bei jeder Gelegenheit, wehrt Euch, kämpft für die Umsetzung umfangreicher Maßnahmen, ändert euer Verhalten, privat und öffentlich, setzt Konsequenzen für die Täter. Sie wendet sich mit ihrem Appell nicht an die Politik, die Justiz oder andere Institutionen, sondern an uns alle. „Was wir brauchen, sind Mut und Vielfalt, Wut, Kreativität, Solidarität und Ausdauer. Voller Zugewandtheit und Menschenliebe gegen den Frauenhass – weiterkämpfen!“ (S. 236).

Das Buch von Clemm ist eine informative und spannende Lektüre, sehr verständlich geschrieben, das Engagement der Autorin klar und emphatisch, die Zuspitzungen dicht, sie rütteln auf. Ein starkes Buch, ein kämpferisches Buch! Ich wünsche ihm viele Leser*innen, die das Engagement der Autorin würdigen und ihrem Appell folgen.