STREIT 3/2020
S. 135-140
ArbG Solingen, § 626 BGB, § 3 Abs. 4 AGG
Fristlose Kündigung nach sexueller Belästigung (Aufmalen der Brustumrisse auf Arbeitskittel)
1. Das Umranden der Brust einer Arbeitskollegin mittels Textmarker ist kein Scherz, sondern sexuelle Belästigung und wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung i.S.d. § 626 BGB.
2. Ähnlich wie bei einem „Griff in die Kasse“ muss jedem Arbeitnehmer bewusst sein, dass sexuelle Belästigungen jeglicher Art absolut nicht tolerierbar sind und bereits bei einmaligem Vorkommnis das Vertrauen in die Integrität und in das arbeitsvertragliche Pflichtverhalten des Arbeitnehmers unwiederbringlich zerstört ist.
(Leitsätze der Redaktion)
Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 04.02.2020, 2 Ca 917/19
Aus dem Sachverhalt:
Der Kläger ist seit dem 07.08.2007 als Pharmakant bei der Beklagten […] beschäftigt. […] Mit Schreiben vom 06.08.2019, am selben Tag zugestellt, erklärte die Beklagte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. […] Am […] erhielt der zuständige HR-Businesspartner, Herr C., von dem Schichtmeister, Herrn A., die Information, dass Frau L. weinend bei diesem im Büro erschienen war und von dem Vorfall am Vortag sowie weiteren Vorkommnissen erzählt habe. Daraufhin wurde der Kläger noch am […], vor Beginn seiner Nachtschicht, von der Arbeit freigestellt […].
In ihrer Befragung am 25.07.2019 gab Frau L. unter anderem folgendes zu Protokoll: „Ich arbeite bei der BPH in der Einwaage in Wechselschicht. In meinem Bereich bin ich die einzige Frau. Innerhalb unserer Schicht, bestehend aus zehn Personen, herrscht ein relativ rauer Umgangston, mit dem ich aber gut zurecht komme. Man kann sagen, dass ich mich innerhalb der Schicht gut behaupten kann. […]
Kurz vor der Schichtübergabe treffen sich alle Kollegen der Spät- und der Nachtschicht vor dem Meisterbüro der Einwaage. […] Am Dienstag, 23.07.2019, haben wir im Halbkreis gestanden und auf die Meister gewartet. Noch vor dem Erscheinen der Meister ist Herr Q. aus der Tür vom Treppenhaus zu uns gestoßen und hat sich neben mich gestellt.
Er fragte mich, ob ich noch saubere Wäsche im Spind hätte. Ich habe ihm geantwortet, dass ich mir vor kurzem neue Wäsche aus dem Automaten geholt habe. Dabei hatte er rechts neben mir gestanden. Nach meiner Antwort hat er sich leicht nach rechts weggedreht. Als er sich wieder zu mir drehte, hörte ich ein Klickgeräusch und sah einen hellblauen geöffneten Textmarker in der rechten Hand von Herrn Q. Bevor ich reagieren konnte, hatte Herr Q. mit dem Textmarker einen Kreis um meine rechte Brust gemalt. Instinktiv habe ich mich von ihm zurückgezogen und ein wenig weggedreht. […] Herr Q. hatte sich lächelnd von mir weggedreht. Offensichtlich hatte er diese Aktion als Scherz empfunden. Nach einem ersten Schockmoment habe ich ihn angeschrien. Was ich genau geschrien habe, weiß ich nicht mehr. Es war aber so in der Richtung „Bist du bescheuert? Geht’s noch. Das kannst du doch nicht machen.“ Ich bin mir nicht sicher, wer den Vorfall in der Runde gesehen hat, aber nach meinem Schreien hat jeder in der Runde gemerkt, dass etwas vorgefallen war. Die Kollegen, die unmittelbar links neben mir gestanden haben, müssten den Übergriff eigentlich gesehen haben.
Aus Scham habe ich beide Arme vor der Brust verschränkt, um den um meine Brust gemalten Kreis zu verdecken. Ich habe das Ganze erst einmal verdrängt und während der Schichtübergabe nicht darüber gesprochen. Herr Q. hat sich während der Schichtübergabe so verhalten, als wenn nichts geschehen wäre. Mir war der aufgemalte Kreis so peinlich, dass ich meine Arme während des restlichen Aufenthaltes im Gebäude bis zu meinem Umkleideraum verschränkt gehalten habe. So wollte ich verhindert, dass meine Kollegen, die mir begegnen, mich auf diesen Kreis um meine Brust ansprechen.
Befragt erkläre ich, dass es bei einer Schichtübergabe, nur dann sehe ich Herrn Q., vor circa einem oder auch zwei Jahren, so genau kann ich mich nicht mehr erinnern, einen Vorfall mit ihm gegeben hat. Seinerzeit hatte er mir im Vorbeigehen die Bänder meines damals unter der Arbeitskleidung getragenen Bikini-Oberteils, die ein wenig aus der Arbeitsjacke herausragten, aufgezogen. Ich musste die Bänder dann in mein T-Shirt stecken, damit mein Bikini-Oberteil, das nur durch das T-Shirt noch gehalten wurde, nicht weiter verrutschte und bin dann zum Umkleiden gegangen.
Damals war mir das gar nicht so bewusst, dass diese Aktion eigentlich auch schon ein sexueller Übergriff war. Heute habe ich das Gefühl, als wenn er mich durch solche Aktionen irgendwie bloßstellen wollte. In beiden Fällen hatte ich einen unangenehmen und langen Weg bis zu meiner Umkleidestelle zu gehen.
Weiter fällt mir ein, dass Herr Q. mich bei Schichtübergaben mehrfach im Vorbeigehen am Kopf berührt hat, indem er mir mit der Hand gegen meinen Haar-Dutt unter meiner Haarhaube getippt hatte. Dabei habe ich mir nichts gedacht und deshalb auch nicht entsprechend reagiert. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat er dies in den letzten drei Jahren etwa einmal im Monat gemacht. Im Gegensatz zum letzten Vorfall habe ich dem leider nicht viel Bedeutung beigemessen. In Zukunft werde ich mir das aber auch verbitten.“ […]
Die Anhörung des Klägers selbst fand schließlich am 25.07.2019 […] im Beisein des Betriebsratsmitglieds Herrn M. statt. Der Kläger hat seinerseits folgendes erklärt […]: „[…] Der gegen mich erhobene Vorwurf der „sexuellen Belästigung“ ist wahr. An dem Abend habe ich mich wie so oft mit K. im Vorfeld der Schichtübergabe unterhalten. […] Dann habe ich einen hellblauen Textmarker aus der Tasche genommen, die Kappe abgezogen und ohne groß nachzudenken mit dem Textmarker einen Kreis auf ihre weiße Arbeitsjacke um ihre rechte Brust herum gemalt. Danach habe ich noch mit meinem Arm und dem Textmarker in der Hand eine Vorwärtsbewegung in Richtung K.s Oberkörper gemacht. Allerdings ist es dabei nicht zu einem Körperkontakt gekommen. Es sollte auch gar nicht zu einem weiteren Körperkontakt kommen. K. hat sich abrupt mit dem Worten „Ich glaube nicht, dass du das gerade gemacht hast“ zu einem Arbeitskollegen weggedreht. Die Worte waren sehr laut gesprochen. Sie hat mich aber meiner Meinung nach nicht angeschrien. Danach kamen die Meister dazu und die Schichtübergabe hat begonnen. Ich habe noch gesehen, dass K. während der Schichtübergabe die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Als ich das gesehen hatte, ist mir erst richtig bewusst geworden, dass ich mit meiner Aktion zu weit gegangen bin und dies kein Spaß mehr unter Kollegen war […].
Mir wird hier vorgehalten, dass ich vor etwa ein bis zwei Jahren K. während einer Schichtübergabe beim Vorbeigehen die Bänder ihres Bikini-Oberteils, die ein wenig aus der Arbeitskleidung herausragten, aufgezogen haben soll. Auch dieser Vorwurf entspricht der Wahrheit. Ich hatte mir seinerzeit eigentlich nur einen Spaß erlauben wollen. Damals hatte ich nicht damit gerechnet, in was für eine Situation ich sie bei der Schichtübergabe mit geöffnetem Bikini-Oberteil gebracht habe. Sie hat mir allerdings sofort zu verstehen gegeben, dass ich das zu unterlassen habe. Ich habe dies zur Kenntnis genommen und mich daran gehalten. Nach meiner Entschuldigung hatten wir eigentlich weiterhin ein gutes kollegiales Verhältnis und haben uns auch über private und persönliche Dinge unterhalten können. […]
Weiterhin wird mit hier vorgehalten, dass ich K. in den letzten drei Jahren mehrfach bei den Schichtübergaben an ihren Haaren angefasst haben soll. Dieser Vorwurf ist auch wahr. […] Es ist gelegentlich vorgekommen, dass ich mir den Spaß erlaubt habe. […] Vor einiger Zeit, wann genau, kann ich nicht mehr sagen, hat sie mir energischer zu verstehen gegeben, dass sie diese Berührungen nicht wünscht. Seither habe ich ihre Haare nicht mehr berührt.
Abschließend möchte ich betonen, dass mir mein Verhalten K. gegenüber sehr leid tut und dass es absolut unakzeptabel war. […]“
[…] Frau L. hat ihrerseits das Arbeitsverhältnis zur Beklagten zum 31.12.2019 aufgelöst, wobei dies nach Kenntnis der Beklagten nicht mit den streitgegenständlichen Vorfällen zu tun gehabt haben soll. Darüber hinaus soll Frau L. mitgeteilt haben, dass sie nicht gewollt habe, dass es zu einer Kündigung des Klägers komme. […]
Der Betriebsrat hat sich zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung wie folgt geäußert […]: „Der Personalausschuss […] hat den Beschluss gefasst, gegen die außerordentliche Kündigung gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG Bedenken zu erheben.“ […]
Der Kläger hält die Kündigungen für unwirksam. Er weist darauf hin, dass er keinen Vorsatz hinsichtlich einer sexuellen Belästigung gehabt und versucht habe, sich bei Frau L. zu entschuldigen. Er verweist weiter auf die – unstreitige – Tatsache, dass er sich mit Frau L. auf gleicher Hierarchieebene befand und lediglich einen Scherz habe machen wollen. Er habe sie nicht belästigen wollen und nicht weiter reflektiert, wie sie sich bei seiner Aktion habe fühlen können. […] Der Kläger meint des Weiteren, die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausgehen. Von einer Wiederholungsgefahr sei nicht auszugehen. Zudem sei der einmalige Vorfall nicht so gravierend. […]
Aus den Gründen:
Die Klage ist […] unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die wirksame fristlose Kündigung der Beklagten vom 06.08.2019 völlig zu Recht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.
Die vom Kläger fristgerecht eingereichte Kündigungsschutzklage musste erfolglos bleiben, weil der Beklagten ein wichtiger Grund zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 BGB in Verbindung mit §§ 1, 13 KSchG zur Seite steht. Dabei ist der Sachverhalt im Wesentlichen unstreitig geblieben und zwar in Bezug auf das Umranden der Brust der Arbeitskollegin auf deren Arbeitskittel mit einem Textmarker sowie die umfassende Vorgeschichte. Lediglich bestritten wurde vom Kläger[…] die diesbezügliche Motivation. Das Umranden der rechten Brust stellt eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG und damit auch eine schwerwiegende Verletzung der dem Kläger obliegenden arbeitsvertraglichen Pflichten dar.
1. Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesem, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlich haben. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG, 09.06.2011, 2 AZR 323/10 sowie 2 AZR 302/16).
Der Kläger hat gezielt unter Zuhilfenahme eines Textmarkers den Kittel seiner Arbeitskollegin bemalt und zwar dergestalt, dass er deren rechte Brust mit seiner eigenen Hand mit dem Stift berührt und umrandet hat. Der Kläger hat sich also herausgenommen, vor den Augen zahlreicher Zeugen auf die Brust seiner Arbeitskollegin „zuzugreifen“ und diese nicht nur zu berühren, sondern insoweit das Geschlechtsmerkmal als solches durch Aufmalen auf den Arbeitskittel plakativ hervorzuheben. Dabei ist ohne jeden Zweifel davon auszugehen, dass diese Berührung absichtlich erfolgt ist, da der Kläger zuvor den Stift hervorholte und die Kappe abnahm, um im Anschluss die Mitarbeiterin zu attackieren. Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Brustumrandung mittels eines Textmarkers um eine Berührung, wenn auch nicht mit den Fingern unmittelbar, sondern mit dem zwischen der Brust und der Hand befindlichen Textmarker.
Diese Berührung ist bewusst und gewollt durch die Hand des Klägers erfolgt. Hiermit handelt es sich um eine absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen, die sexuell bestimmt ist im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG. Es handelte sich somit um eine sexuelle Belästigung, die „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung geeignet ist.
Im Einzelnen:
Schutzgut der § 7 Abs. 3, 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG.
Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt (BAG, 02.03.2017, 2 AZR 698/15). Das Recht der Arbeitskollegin Frau L., selbst über einen Eingriff in ihre eigene Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen, hat der Kläger ignoriert, missachtet, gebrochen, sich über das letztlich grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht seiner weiblichen Kollegin hinweggesetzt und – zu welchem Zweck auch immer – darüber hinaus Frau L. zum Objekt degradiert und vor der versammelten „Mannschaft“ der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ob der Kläger damit eine sexuell bestimmte Handlung vornehmen wollte oder nicht, ist vollständig irrelevant. Erforderlich ist eine sexuelle Motivation genauso wenig, wie das Vorliegen eines hierarchischen Gefälles. Dass der Kläger und die von ihm belästigte Arbeitskollegin auf gleicher Ebene im Betrieb fungierten, macht den Übergriff weder besser noch schlechter. Was die Unverfrorenheit des Klägers allerdings unterstreicht ist, dass er diese „Aktion“ auch noch vor den Augen zahlreicher überwiegend männlicher Arbeitskollegen durchgeführt hat. Frau L. war in der beschriebenen Situation rein vom Geschlechterproporz her gesehen bereits unterlegen. […] Durch sein Verhalten hat er bewirkt – möglicherweise auch bezweckt – dass die Würde seiner Arbeitskollegin verletzt wurde.
Das allein ist ausreichend. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG, 09.06.2011, 2 AZR 323/10). Selbstverständlich war das von dem Kläger an den Tag gelegte Verhalten darüber hinaus auch unerwünscht. Die Unerwünschtheit erfordert nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG, 09.06.2011, 2 AZR 323/10).
Beides ist allerdings vorliegend der Fall. Die von dem Kläger belästigte Arbeitskollegin hat unvermittelt diesen zurechtgewiesen, wobei es auf den genauen Wortlaut nicht ankommt. Sie hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Vorgehensweise nicht billigt und hat an der Verstandesleistung des Klägers offensichtlich deutlich gezweifelt. Sie ist dabei laut geworden, so dass auch für die übrigen Anwesenden klar war, dass hier ein von ihr nicht gebilligtes Verhalten vorgelegen hat.
Darüber hinaus ist das Vorgehen des Klägers aber auch objektiv erkennbar unerwünscht. Jenseits von hinter verschlossenen Türen liegenden Schlafzimmern oder ggf. Dreharbeiten für Filmproduktionen ist es objektiv unerwünscht, im beruflichen Zusammenhang, bekleidet mit einem schneeweißen Arbeitskittel von einem Kollegen
1. an der eigenen Brust berührt, 2. mit einer unübersehbaren aufgemalten Brust auf dem Arbeitskittel versehen zu werden sowie 3. diesen Arbeitskittel bis zum Umkleideraum weiterhin tragen und 4. das Ganze vor diversen Zeugen erleben zu müssen. […]
Und selbstverständlich handelt es sich um ein sexuell motiviertes Verhalten. Der Kläger hat schließlich nicht etwa ein Bäumchen auf das Schulterblatt oder eine Blume auf den Ärmel gemalt, sondern die rechte Brust umrandet und somit nachgezeichnet. Sexuell motivierter kann ein „Zeichnen“ auf einem Arbeitskittel kaum sein. Dabei kann der Kläger sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe sich um „einen Scherz“ gehandelt. Die Vorgehensweise des Klägers ist meilenweit entfernt von scherzhaftem Verhalten. Die Idee des Klägers, die Brust einer Frau einfach mal auf deren Kleidung nachzumalen, ohne hierzu ausdrücklich aufgefordert worden zu sein, ist nicht einmal in einem privaten Zusammenhang als Scherz einzustufen. Das Ganze ist weder ironisch, noch witzig, noch lustig. Ein solches Vorgehen ist eine durch nichts zu rechtfertigende Machtdemonstration, die den anderen rein auf sein Geschlecht minimiert und zum Objekt degradiert, auf dem man – weil man da gerade Lust dazu hat – rummalen kann. Dass das Ganze auch noch im beruflichen Zusammenhang und vor Zeugen stattgefunden hat, macht den Übergriff nur noch schlimmer.
Die betroffene Mitarbeiterin hat – dies hat der Kläger im Übrigen auch nie in Zweifel gezogen – sich nicht nur über die Vorgehensweise geärgert, was ihre abrupte Wortmeldung belegt, sondern sich auch sehr geschämt. Sie hat sofort beide Arme vor der Brust verschränkt und so die Malerei auf ihrer Brust zu verdecken gesucht. Bis zu ihrer Umkleidekabine ist sie bei dieser Körperhaltung geblieben. Bei der späteren Befragung hat sie darüber hinaus noch Tage später die Fassung verloren und bei der Schilderung der Ereignisse geweint.
Das ist auch sehr nachvollziehbar, da der Kläger durch seine „lustige Malerei“ für ihn selbst, die betroffene Person und alle umstehenden Zeugen sowie potentielle weitere der Klägerin begegnenden Mitarbeiter, die Assoziationen der anderen auf die Intimsphäre, die Weiblichkeit, schlicht die Brüste der Klägerin gelenkt hat. Frei nach dem Motto: „Guckt mal, das ist eine Frau. Sie hat zwei Brüste. Eine davon habe ich mal auf den Kittel gemalt, damit sich das auch jeder gut vorstellen kann.“ Es handelt sich somit um einen wichtigen Grund zur Kündigung.
2. Auch die Einzelfallbetrachtung ergibt kein anderes Ergebnis. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen.
Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. […]
Der Kläger konnte keinesfalls davon ausgehen, dass die Beklagte auch nur ein einziges Mal hinnehmen würde, dass ein Mitarbeiter in der bezeichneten Weise eine Mitarbeiterin degradiert, sexualisiert und zum Objekt herabwürdigt. Ähnlich wie bei einem „Griff in die Kasse“ muss jedem Arbeitnehmer bewusst sein, dass Stehlen, Betrügen etc., Körperverletzung, rassistische Äußerungen, sexuelle Belästigungen jeglicher Art, absolut nicht tolerierbar sind und bereits bei einmaligem Vorkommnis das Vertrauen in die Integrität und in das arbeitsvertragliche Pflichtverhalten des Arbeitnehmers unwiederbringlich zerstört sind. […]
Dabei kommt es auch nicht darauf an, dass der Kläger das Malen der Brustwarze – seiner Darstellung zufolge – nicht beabsichtigt hatte. Allein die Tatsache, dass es zu dem Aufmalen eines Punktes innerhalb des Kreises auf dem Kittel nicht mehr gekommen ist, lässt die ganze Angelegenheit in keinem milderen Licht erscheinen. Allein die angedeutete Armbewegung, die unstreitig erfolgt ist, selbst wenn es zu keiner weiteren Berührung gekommen sein sollte, unterstreicht das bereits durch das Aufmalen des Kreises an den Tag gelegte unverschämte, übergriffige und vertragswidrige Verhalten.
Im Übrigen ist die Erteilung einer Abmahnung wegen des Vorfalles der Beklagten auch aus unternehmenspolitischen sowie generalpräventiven Gründen verwehrt. In diesem Zusammenhang darf aus der „Policy“ der Beklagten unter dem Stichwort „respektvoller Umgang am Arbeitsplatz“ wie folgt zitiert werden:
„Wir erwarten von unseren Mitarbeitern einen respektvollen, professionellen und fairen Umgang mit Kollegen und Dritten. […]. Bestimmte Wörter, Gesten, körperlicher Kontakt oder Mobbingverhalten können zu einer Belästigung am Arbeitsplatz führen. Dazu zählt auch die sexuelle Belästigung, die in Form einer sexuellen Nötigung, unerwünschter oder unangemessener Versprechungen als Gegenleistung für sexuelle Dienste oder anderer geschlechtsbezogener Wörter, Bilder oder Verhaltensweisen auftreten kann. […] Alle Mitarbeiter bei C. müssen die Menschen, mit denen sie beruflich zu tun haben, mit dem gleichen Maß an Würde und Respekt behandeln. Mitarbeiter, die dies nicht tun oder ihr Handeln nicht ändern, wenn sie auf ein Problem hingewiesen werden, können arbeitsrechtlich belangt werden. Solche Verstöße können am häufigsten in den alltäglichen Beziehungen zwischen Mitarbeitern auftreten. […]“
Die Abmahnung als Reaktion auf das Verhalten des Klägers wäre (auch) auf dieser Grundlage ein völlig falsches Signal.
Es hätte sich auf diese Weise zumindest der Gedanke etablieren können, dass jeder Mitarbeiter/Mitarbeiterin doch zumindest einmal zulangen, zugrabschen oder sonst wie sexuell belästigen darf, bevor ernstzunehmende arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Genau dieser „einmal ist kein Mal“-Gedanke ist aber ganz offensichtlich nicht tragend gewesen für das Aufstellen des oben zitierten Verhaltenskodexes. Schon um sich an den eigenen Maßstäben messen zu lassen und um unternehmenspolitisch glaubwürdig zu sein und zu bleiben, war die Beklagte gehalten, das Arbeitsverhältnis wegen der oben beschriebenen Vorfälle mit dem Kläger unverzüglich zu beenden.
Schließlich ist die Kündigung auch keinesfalls als Bestrafungsakt etwa wegen eines einmaligen verzeihlichen Ausrutschers zu werten, sondern aufgrund der bestehenden Wiederholungsgefahr zwingend auszusprechen gewesen. Dass der Kläger sich „nicht im Griff“ hat, zeigen nicht nur die unstreitig gebliebenen Übergriffe gegenüber der Arbeitskollegin in der Vergangenheit und zwar über mehrere Jahre hinweg, sondern zeigt auch sein Verhalten, das er in der Anhörung sowie bis zum Kammertermin gezeigt hat.
Zum einen ist unstreitig geblieben, dass der Kläger mehrfach, regelmäßig und über einen langen Zeitraum hinweg ständig die Haare der Arbeitskollegin angefasst hat. Er hat hierzu angegeben, angedeutet zu haben, gegebenenfalls die Haarklammern zu lösen etc. Auch dieses Verhalten zeigt eine absolut missverstandene und die Grenzen der Arbeitskollegin missachtende plumpe Vertraulichkeit, die ihm zu keinem Zeitpunkt zustand. Dabei ist der Mitarbeiterin keinesfalls vorzuwerfen, dass sie sich nicht bereits zu Beginn der „Berührungen“ vehement gegen den Kläger zur Wehr gesetzt hat. Weder hat der Kläger vorgetragen, dass diese Verhaltensweise von Seiten der Arbeitskollegin gewünscht worden ist, noch war es Frau L. egal. Das Gegenteil ist der Fall. Sie hat – wenn auch zunächst zögerlich – vom Kläger erbeten, die Berührung ihrer Haare zu unterlassen. Dies hat er erst viel später endgültig verstanden und offensichtlich dann gelassen. Stattdessen hat er sich aber – dies ist ebenfalls unstreitig geblieben und vom Kläger in seiner Anhörung auch eingeräumt worden – am Bikini-Oberteil seiner Kollegin „zu schaffen gemacht“.
Bei dem Öffnen der Schleife eines Bikini-Oberteils im Nacken handelt es sich bereits vor dem Hintergrund eines Freibads und darin befindlicher balzender Jugendlicher um einen absoluten Fehltritt. Umso gravierender ist ein solcher Griff an die – letztlich – Unterwäsche einer Frau auf der Arbeitsstelle. Der Kläger hat in seiner Anhörung auch hierzu angegeben, dies scherzhaft gemeint zu haben. Das Angrabschen der unter der Dienstkleidung befindlichen Privatkleidung, erst Recht das Öffnen der Intimwäsche, sei es ein BH oder ein Bikini, steht allein der die Unterwäsche tragenden Person oder derjenigen Person zu, die hierzu ausdrücklich erwünscht oder aufgefordert ist. Schwingen sich Dritte – wie der Kläger – dazu auf, zu diesem Personenkreis zu zählen, so ist dies weder ein Scherz, noch im Entferntesten amüsant oder lustig, sondern schlicht eine – erst Recht im Arbeitszusammenhang – absolut inakzeptable, rechtswidrige und unerhörte Verhaltensweise. […]
Schließlich war dem Kläger auch nicht zugute zu halten, dass er „geständig“ und um eine Entschuldigung gegenüber der betreffenden Kollegin bemüht war. Denn zumindest das Eingestehen der streitgegenständlichen zur Kündigung führenden Situation im Juli letzten Jahres war in Anbetracht der zahlreichen Zeugen letztlich wohl nicht mehr vom freien Willen des Klägers getragen. Wie hätte er das Aufzeichnen der Brust auf den Kittel denn abstreiten sollen? Letztlich blieb dem Kläger gar nichts anderes mehr übrig, als den Vorfall – wie geschehen – einzuräumen. Auch die Versuche, sich bei seiner Kollegin zu entschuldigen, sind nicht zu seinen Gunsten zu werten. Der Kläger hat sich schlicht bis zum Termin der mündlichen Verhandlung nicht bei der Kollegin entschuldigt. Er hat vortragen lassen und dies auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal bekräftigt, dass er seine Arbeitskollegin noch am selben Abend gebeten hatte „stehen zu bleiben“, um mit ihr zu reden. Des Weiteren habe er ihr WhatsApp geschickt und sie angerufen. Es sei jedoch keine Reaktion durch Frau L. erfolgt. In einem solchen Verhalten liegt aber gerade keine Entschuldigung.
Was der Kläger damit suggeriert hat ist, dass er erwartete, dass sich Frau L. seinem Willen, eine Entschuldigung zu platzieren, beugen solle. Schließlich wollte er mit ihr „reden“. Es gibt keinerlei Veranlassung für die in der oben beschriebenen Form behandelte Arbeitskollegin, sich dem Kläger für ein Gespräch zur Verfügung zu stellen, Anrufe entgegen zu nehmen oder WhatsApp zu beantworten. Wenn der Kläger es für sinnvoll und angemessen erachtet hätte, sich bei ihr persönlich zu entschuldigen, so hätte dies längst – und zwar als Einbahnstraße – erfolgen können. Nichts dergleichen ist jedoch geschehen.
Zu Gunsten des Klägers waren im Rahmen der Interessenabwägung zwar seine lange Betriebszugehörigkeit sowie weiterhin seine Unterhaltsverpflichtungen zu werten. In Anbetracht der Schwere des Pflichtverstoßes, der Steigerung seiner Übergriffigkeiten sowie der gezielten und ganz offensichtlich zumindest kurzfristig geplanten Handlungsweise am 23.07.2019 musste die Interessenabwägung klar zu Lasten des Klägers ausfallen. Der Beklagten war nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrecht zu erhalten, zumal es sich auf Grundlage des Arbeitsvertrages um eine monatelange weitere Zusammenarbeit gehandelt hätte.
Schließich ist noch darauf hinzuweisen, dass das Ausscheiden der betroffenen Arbeitskollegin zum Ende des Jahres 2019 keinerlei Relevanz im Hinblick auf die Beurteilung des Kündigungssachverhaltes hat. Denn zum einen kommt es auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, also auf den Juli 2019 an. Zu diesem Zeitpunkt war die betroffene Mitarbeiterin noch monatelang im Unternehmen der Beklagten tätig. Zum Anderen zeigt das Verhalten des Klägers nicht allein die Missachtung der Persönlichkeitsrechte der Frau L., sondern ein übergriffiges Verhalten gegenüber weiblichen Mitarbeitern. Im Rahmen der zu berücksichtigenden Wiederholungsgefahr war daher nicht allein auf die konkrete belästigte Kollegin abzustellen, sondern auf die weibliche Kollegenschaft des Klägers allgemein. Denn die Möglichkeit, dass – von welchen Motiven auch immer getragen – sich der Kläger auch an anderen Arbeitskolleginnen entsprechende Unflätigkeiten leisten würde, war für die Beklagte zu jedem Zeitpunkt gegeben. […]
6. Und abschließend noch eine generelle Bemerkung:
Ja, es dürfen (auch) in Betrieben noch Komplimente vergeben werden und nein, es ist – sogar auf der Arbeitsstelle – nicht verboten, miteinander zu flirten. Wo immer Menschen mit- und nebeneinander arbeiten, werden sich nicht nur Sympathien und Antipathien entwickeln, sondern auch immer sexuelle Anziehungskräfte wirken. Hiergegen ist weder ein Kraut gewachsen, noch etwas einzuwenden. Anders verhält es sich aber, wenn diese menschlichen Regungen in sexuelle Belästigung umschlagen. Eine solche ist immer geprägt von Anmaßung, Respektlosigkeit und Grenzüberschreitung und zeichnet sich im Kern immer dadurch aus, dass die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung zu Gunsten der Durchsetzung eigener Bedürfnisse negiert wird. Das gilt es – auch in Betrieben – zu verhindern!