STREIT 4/2024

S. 160-161

Schutz von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren

Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ: „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“ 1 (Auszug)

Der im Juli 2024 veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums verfolgt das Ziel, den Schutz gewaltbetroffener Personen und deren Kinder in familiengerichtlichen Verfahren zu verbessern. Durch die Einführung eines Wahlgerichtsstands für Kindschafts-, Abstammungs- und Kindesunterhaltssachen soll eine bessere Geheimhaltung des aktuellen Aufenthaltsorts eines von Partnerschaftsgewalt betroffenen Elternteils ermöglicht werden. Zudem werden in Kindschaftssachen die Amtsermittlungspflichten des Gerichts konkretisiert, um zu verdeutlichen, dass bei Anhaltspunkten für das Vorliegen von Partnerschaftsgewalt auch Ermittlungen zum Schutzbedarf und zum Gefahrenmanagement im familiengerichtlichen Verfahren erforderlich sind. Ferner wird klargestellt, dass das Gericht in diesen Fällen nicht auf Einvernehmen hinwirken, keine gemeinsamen Informations- und Beratungsgespräche anordnen und die Eltern getrennt anhören soll. Einstweilige Anordnungen über den Umgangsausschluss und die Ablehnung des Umgangsausschlusses sollen künftig mit der Beschwerde anfechtbar sein. Es wird erwogen, die Beschwerdemöglichkeit auf alle Umgangsentscheidungen auszudehnen.

Des Weiteren enthält der Referentenentwurf Neuregelungen zur Verfahrensbeistandschaft. Unter anderem wird die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung geschaffen, mit der Elternteile verpflichtet werden können, Gespräche des Verfahrensbeistands mit ihrem Kind zu ermöglichen. Diese Anordnung soll mit Zwangsmitteln wie Zwangsgeld und Zwangshaft durchgesetzt werden können. Der Entwurf enthält darüber hinaus Änderungen, die das Gewaltschutzverfahren betreffen. Zudem beinhaltet der Entwurf Neuregelungen zum Versorgungsausgleich.

Viele der im Referentenentwurf geplanten Neuregelungen sind geeignet, den Gewaltschutz im familiengerichtlichen Verfahren zu verbessern. Der VAMV mahnt jedoch an, den Neuregelungen den Gewaltbegriff der Istanbul-Konvention zugrunde zu legenund nicht an den engeren Gewaltbegriff des Gewaltschutzgesetzes anzuknüpfen. Andernfalls drohen psychische Gewalt und wirtschaftliche Gewalt aus dem Blick zu geraten. Ein umfassender Gewaltschutz in umgangs- und sorgerechtlichen Verfahren, wie Artikel 31 Istanbul-Konvention ihn verlangt, kann so nicht gelingen.

Der VAMV begrüßt insbesondere die Konkretisierung der Amtsermittlungspflichten bei Anhaltspunkten von Partnerschaftsgewalt und die für diese Fälle vorgesehenen besonderen Verfahrensvorschriften. In diesen Fällen soll abgesehen werden vom Hinwirken auf Einvernehmen sowie von der Anordnung gemeinsamer Beratungsgespräche, ferner sind ausdrücklich getrennte Anhörungen möglich. Auch wenn das Familiengericht in diesen Fällen Verfahrensbeistände oder Sachverständige beauftragt, sollte es Sorge dafür tragen, dass der Schutz von Kindern und gewaltbetroffenen Elternteilen sichergestellt ist Die Amtsermittlungspflichten sollten im Gesetz noch weiter konkretisiert werden. Eine Konkretisierung allein in der Gesetzesbegründung reicht nicht aus. Zudem weist der VAMV drauf hin, dass Gerichte ausreichende Ressourcen brauchen, um der Amtsermittlungspflicht nachzukommen.

Kritisch sieht der VAMV für die Eröffnung eines Wahlgerichtsstandes die Anknüpfung an die Einleitung eines Gewaltschutzverfahrens oder an das Bestehen einer Gewaltschutzanordnung. Diese Voraussetzungen sind zu eng und werden den Realitäten gewaltbetroffener Elternteile nicht gerecht. Der VAMV plädiert dafür, die Flucht in eine Schutzeinrichtung oder das Vorliegen anderer Anhaltspunkte für Partnerschaftsgewalt wie Ermittlungsakten oder medizinische Befunde als Anknüpfungspunkt für die Eröffnung eines Wahlgerichtsstandes gesetzlich zu verankern.

Die Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit allein auf Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren zu Umgangsausschlüssen lehnt der VAMV ab. Um einen vollständigen Schutz gewaltbetroffener Elternteile und ihrer Kinder zu ermöglichen und Artikel 31 Istanbul-Konvention vollständig umzusetzen, muss die Beschwerdemöglichkeit auf alle Umgangsentscheidungen erweitert werden. Diese Erweiterung ist auch mit Blick auf die Eckpunkte zum Kindschaftsrecht 2 erforderlich, nach denen eine Betreuung im Wechselmodell im Wege eines Umgangsverfahrens gerichtlich angeordnet werden kann. Nach der jetzigen Rechtslage ist eine solche Entscheidung unanfechtbar, auch wenn sie in Fällen häuslicher Gewalt getroffen wurde. Zudem hat sie weitreichende Folgen auch für die Höhe von Unterhaltsleistungen und das Bestehen von Ansprüchen auf Sozialleistungen. Eine Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Anordnungsverfahren ist daher unerlässlich.

Die im Entwurf enthaltene rechtliche Möglichkeit, die Verpflichtung von Eltern, Gespräche ihres Kindes mit dem Verfahrensbeistand zu ermöglichen, mit Zwangsmitteln durchzusetzen, lehnt der VAMV ab. Ein neuer Zwangskontext im familiengerichtlichen Verfahren, das zwischenmenschliche Beziehungen verhandelt, ist der falsche Weg. Außerdem setzt eine solche Regelung notwendig voraus, dass Eltern auch tatsächlich rechtliche Möglichkeiten haben, die Entpflichtung von ungeeigneten Verfahrensbeiständen zu erwirken. Diese Möglichkeiten sind nach der aktuellen Rechtslage äußerst begrenzt.

Voraussetzungen für eine tatsächliche Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Elternteile und ihrer Kinder ist jedoch, dass alle am familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Professionen, und insbesondere auch Familienrichter*innen ausreichende Kenntnisse zu den Formen häuslicher Gewalt, ihrer Dynamiken, ihrer Auswirkungen auf gewaltbetroffene Elternteile und über Auswirkungen von miterlebter Gewalt auf Kinder haben. Dafür braucht es eine entsprechende gesetzliche Fortbildungspflicht. Die Fortbildung muss wissenschaftlich fundiert sein und eine kindeswohlzentrierte und gewaltsensible Haltung einnehmen: Pseudowissenschaftliche Konzepte wie Eltern-Kind-Entfremdung/Bindungsintoleranz dürfen nicht Bestandteil von Fortbildungen sein, da sie in der Praxis dazu führen, den Gewaltschutz auszuhebeln (Erster Bericht des Expertenausschusses (GREVIO) zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention), in Deutschland, S. 75-76). Dies ist durch verbindliche Curricula und Zertifizierungen zu garantieren. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft müssen in die Lage versetzt werden, häusliche Gewalt und ihre Dynamiken zu erkennen.

Weitere unablässige Voraussetzung für den umfassenden Schutz gewaltbetroffener Elternteile und ihrer Kinder ist ferner, dass ein ausreichendes Angebot verlässlich finanzierter Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen vorhanden ist. Das Gewalthilfegesetz mit einem Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung und den schrittweisen bedarfsgerechten Ausbau der Frauenunterstützungsstruktur muss daher noch in dieser Legislatur verabschiedet werden.

Der Referentenentwurf enthält wichtige Schritte auf dem Weg zu einem verbesserten Gewaltschutz im familiengerichtlichen Verfahren, wenn er auch in einigen Punkten unbedingt nachgebessert werden muss, um den Gewaltschutz nicht leerlaufen zu lassen. Er kann jedoch nur als ein Baustein betrachtet werden, dem weitere folgen müssen, insbesondere auch im materiellen Recht, um den sich aus der Istanbul-Konvention ergebenden Schutzansprüchen zu genügen.

Einzelheiten unter:vamv.de/de/aktuelles/besserer-gewaltschutz-in-sicht-referentenentwurf-des-bundesjustizministeriums-zum-famfg-kann-ein-wichtiger-baustein-sein/.

  1. www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_FamFG_Aenderung.html
  2. Vom 16.01.2024: www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/NavThemen/240115Eckpunkte_Kindschaftsrecht.html