STREIT 2/2017
S. 73
AG Bochum, §§ 42 Abs. 1, 406 Abs. 1 ZPO, § 30 FamFG
Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit
Befangenheit eines Sachverständigen, der einer aus Afrika stammenden Mutter, ohne Angabe konkreter Gründe, nur mit dem Verweis auf ihren Kulturkreis unterstellt, ihre Kinder zu schlagen.
(Leitsatz der Redaktion)
Beschluss des AG Bochum vom 12.06.2017, 58 F 408/16
Aus den Gründen:
Das zulässige Ablehnungsgesuch des Verfahrensbeistands vom 26.04.2017, dem sich das Jugendamt mit Schriftsatz vom 11.05.2017 und die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 16.05.2017 angeschlossen haben, hat Erfolg.
Aus der maßgeblichen Sicht der Kindesmutter ist gem. § 42 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 406 Abs. 1 ZPO und § 30 FamFG die begründete Besorgnis gerechtfertigt, dass der Sachverständige Prof. Dr. habil. F. M. befangen sein könnte.
Der Sachverständige kann wegen Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein objektiver Grund gegeben ist, aufgrund dessen eine vernünftige Partei befürchten kann, der Sachverständige sei nicht unparteiisch (vgl. Zimmermann in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 406 Rn. 4). Die Ablehnung eines Sachverständigen ist bspw. dann berechtigt, wenn Umstände vorliegen, die auch bei einem vernünftigen, nüchtern denkenden Beteiligten die Befürchtung rechtfertigen können, der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt und glaube den Angaben des einen Beteiligten mehr als den Angaben des anderen (vgl. OLG München, NJW 1992, 1569).
Das ist hier der Fall. Der Sachverständige erklärt in seinem schriftlichen Gutachten vom 10.04.2017, das seelische Wohl der Kinder scheine im Haushalt der Kindesmutter nicht gesichert zu sein, da der Kindesvater berichtet habe, dass die Mutter die Kinder schlage. Zwar handele es sich dabei um Darstellungen des Vaters in einer strittigen Auseinandersetzung. Es seien aber „derartige Erziehungsweisen als Ergebnis von Erziehungserfahrungen in Großfamilien in anderen Kulturkreisen nicht unwahrscheinlich, eher üblich“.
Dies reicht aus Sicht eines vernünftigen, nüchtern denkenden Beteiligten aus, die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen gegenüber der aus Afrika stammenden Kindesmutter zu begründen. Auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.05.2017 erklärt der Sachverständige nicht, wie er – mit Ausnahme der Herkunft der Kindesmutter – zu dieser Schlussfolgerung kommt.
Die Besorgnis wird dadurch weiter bestärkt, dass der Sachverständige weiter ausführt, die Kindesmutter habe angegeben, nicht zum Vater ihres weiteren Kindes nach Bielefeld ziehen zu wollen, weil sie ihre Söhne und Patentante und Patenonkel in ihrer Nähe in Bochum habe. Dies sei – ohne dass der Sachverständige hierfür objektive Begründungen anführt – „nicht sehr glaubwürdig bzw. nicht nachvollziehbar“. Die Mutter würde entweder „nach Beendigung der Sorgerechtsstreitigkeiten doch nach Bielefeld ziehen wollen und damit ihren Söhnen den vertrauten Lebensraum […] und die Nähe zum Vater entziehen oder sie wird tatsächlich in Bochum bleiben, und damit ihrer Tochter und deren Vater ein gemeinsames Leben verweigern“. Daraus schließt der Sachverständige, die Mutter sei zwar an den Kindern „interessiert, wie sie es in ihrer Großfamilie kennengelernt“ habe, aber nicht an einem vollständigen und sicheren Familiensystem und damit an den Vätern der Kinder.
Auch alleine die eigenmächtige Ausdehnung des Gutachtenauftrages kann die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2012, 657). Das ist hier der Fall. So stellt der Sachverständige fest, wenn die Kindesmutter ihren Angaben entsprechend in Bochum bleiben würde, würde sie „ihrer Tochter und deren Vater ein gemeinsames Leben verweigern“. Sie werde „damit auch das seelische Kindeswohl ihrer Tochter gefährden“. Die elterliche Sorge der Tochter ist jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens und war in die Begutachtung nicht einzubeziehen. Zwar erfolgt dies lediglich pauschal und nur für den Fall, dass die Mutter doch ihren Angaben entsprechend – obwohl „nicht sehr glaubwürdig bzw. nicht nachvollziehbar“ – handeln würde, aber dennoch mit einem konkreten Ergebnis zu einer nicht am Verfahren beteiligten Person.
Dafür, dass die Besorgnis der Befangenheit aus den o.g. Gründen aus Sicht eines vernünftigen und nüchtern denkenden Beteiligten besteht, spricht hier auch, dass das Ablehnungsgesuch zunächst nicht von der Mutter selbst, sondern vom Verfahrensbeistand gestellt worden ist. Dem hat sich neben der Mutter auch das Jugendamt angeschlossen, das ebenfalls nicht unmittelbar von der aus Sicht der Mutter zu befürchtenden Ungleichbehandlung betroffen ist.
Mitgeteilt von RAin Anne Mayer, Bochum